Erinnerung an einen Vollblutkünstler

„Farbe Linie Rhythmus“: Das August Macke Haus bietet Hermann Stenners Werken Raum. Wie hätte sich Macke, der 1914 mit nur 27 Jahren im Ersten Weltkrieg gefallen ist, künstlerisch fortentwickelt? Die gleiche, freilich müßige Frage stellt sich bei dem aus Bielefeld stammenden Maler Stenner; denn auch er fiel, allerdings erst 23-jährig, damals im ersten Jahr des Krieges. Seit 1909 hatte er rasch sein Kunststudium in München und Dachau durchlaufen, das in der Stuttgarter „Komponierklasse“ des für seine Theorien bekannten Malers Adolf Hoelzel gipfelte. Gleichermaßen hatten die Lehrer das Talent dieses jungen Vollblutkünstlers erkannt und gefördert. Trotz seiner Jugend hinterließ er rund 300 Gemälde und 1700 Papierarbeiten.

Es ist nur folgerichtig, dass an Hermann Stenner nun im August Macke Haus mit der Ausstellung „Farbe Linie Rhythmus“ erinnert wird, nachdem die Wiederentdeckung des Schicksalsgenossen bereits im Kunsthandel erfolgreich eingesetzt hatte. Diese rund 60 Werke umfassenden Bilderschau konzentriert sich mit der Ausnahme einiger Ölbilder, zu denen ein noch impressionistisch geprägtes Selbstbildnis von 1909 zählt, im Wesentlichen auf das grafische Werk des Künstlers.

Darin lässt sich verfolgen, wie intensiv Hermann Stenner einerseits Hoelzels Kompositionsprinzipien aufgenommen und sich eigenständig anverwandelt hat und wie andererseits auf Reisen gewonnene Eindrücke Spuren hinterließen.

Auf einer 1912 mit der Hoelzel-Klasse unternommenen Exkursion ins beschauliche Monschau entstanden kompakte, in weite Bögen eingefasste Stadtansichten, die sich mehr und mehr der Abstraktion näherten. Das kleine Gemälde „Monschau“ könnte von einem Rheinischen Expressionisten stammen.

Diese strukturierenden Linienschwünge prägen auch das Bild „Frau auf dem Sofa“, fast noch eine Reminiszenz an den Jugendstil. In Köln besuchte der junge Künstler dann das Wallraf-Richartz-Museum, wodurch eine Hinwendung zu sakralen Figuren ausgelöst wurde. Sie fügen sich noch in die Hoelzelschen gerundeten Konturen.

Die mit vielen Künstlern der Zeit geteilte, geradezu schockartige Erfahrung der internationalen Avantgarde auf der Kölner Sonderbundausstellung entlud sich in Stenners Experiment mit dem Kubismus, wie das Gemälde „Kubistische Figur mit Häusern“ bestätigt. Vier Wochen lang weilte der Maler danach in Paris. Offenbar sog er auch hier alle aktuellen Strömungen in sich auf; und als von Fleiß beseelter Schüler kopierte er – wie einst Cézanne – im Louvre.

Allmählich verloren Stenners Bilder die kubistische Kantigkeit zugunsten einer Formauflösung und eines freien Umgangs mit dem Kolorit, das – etwa in „Zwei Figuren am Strand“ – ohne realistische Lokalfarben auskommt. Es war dann einmal kein Schauplatz, der neue künstlerische Impulse weckte, sondern eine junge Frau mit Namen Clara Bischoff, gleichsam die Muse des Künstlers; sie brachte ihm die Themenkreise des modernen Lebens und des Theaters nahe, wofür das Aquarell „Theaterszene“ beredtes Zeugnis ablegt. Mag sein, dass eine gewisse Unbeschwertheit in seinem sonst von Geldnöten bedrückten Leben ihn jetzt frei und geradezu keck zeichnen ließ. Die „Aufblickende Frau“ gerät zur heiteren Karikatur.

Noch wenige Monate vor dem Krieg verschaffte Hoelzel Stenner und seinen Malerfreunden Oskar Schlemmer und Willy Baumeister mit Wandmalerei-Entwürfen für das Hauptgebäude des Deutschen Werkbundes einen erhofften öffentlichen Auftrag.

Dass Hermann Stenner sehr wohl mit seinen zeitgenössischen Kollegen konkurrieren konnte, lässt sich auch in der Düsseldorfer Ausstellung „El Greco und die Moderne“ überprüfen, wo zwei seiner sakralen Gemälde zu sehen sind.

August Macke Haus, Bornheimer Straße 96, bis 23. September; Di bis Fr 14.30 bis 18, an Feiertagen 11 bis 17 Uhr; Werkverzeichnis 30 Euro

Von Angelika Storm-Rusche, general-anzeiger-bonn.de