Porträt eines Lebensgefühls

Hamm. Bei vielen stieß diese „neue Malerei“ auf Unverständnis. So musste sich der 1891 in Bielefeld geborene Hermann Stenner vom eigenen Vater, der immerhin selbst Malermeister war, anhören, seine Bilder seien „zu skizzenhaft“, die ganze Art so „hypermodern“, dass sie niemandem zuzumuten sei.

Nun, der Vater sollte sich irren. Bald war der Expressionismus in aller Munde. „Keine Mode“, sondern „eine Weltanschauung“, wie der Galerist Herwarth Walden einmal sagte, der den jungen Künstlern in seiner Berliner Galerie „Der Sturm“ ein Ausstellungspodium bot.

Das Gustav-Lübcke-Museum in Hamm knüpft mit seiner aktuellen Ausstellung „Genuss. Empfindung. Aufbegehren. Menschenbilder im Expressionismus“ an das Zitat Waldens an. Zeigt die Schau doch nicht nur 120 Gemälde, Grafiken, Zeichnungen und Skulpturen. Sie versucht auch mit historischen Fotografien und mit Gedichten der Zeit, das Lebensgefühl dieser Jahre wieder auferstehen zu lassen. Was aufgrund des nüchternen Ausstellungsraumes und der fehlenden finanziellen Mittel allerdings leider nur bedingt gelingt.

Fast alle großen Namen präsent

Neben dem 1914 viel zu jung verstorbenen Hermann Stenner, über den sein Malerkollege Willi Baumeister später einmal sagte, „er wäre einer der besten Maler Deutschlands geworden, wenn nicht der sinnlose verbrecherische Krieg seine Opfer geholt hätte“, sind in Hamm fast alle großen Namen präsent – wenn auch nur mit Arbeiten auf Papier und nicht mit Gemälden. Die Brückemaler Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner, Otto Mueller, Max Pechstein und Karl Schmidt-Rottluff ebenso wie die Rheinischen Expressionisten Carlo Mense, Heinrich Campendonk oder August Macke. Ob Carl Hofer, Emil Nolde, Ernst Barlach, Max Beckmann, Ludwig Meidner und Conrad Felixmüller – keiner fehlt.

Von Georg Grosz ist das Blatt „Professor Freud gewidmet“ aus dem Mappenwerk „Ecce Homo“ zu sehen, das den Künstler wegen „Verbreitung pornographischer Schriften“ 1923 vor Gericht brachte. Von Alexej von Jawlensky blickt dem Betrachter schüchtern ein „Lettisches Mädchen“ aus einer wunderbaren Ölskizze entgegen. Und von Käthe Kollwitz wird ein einprägsamer Holzschnitt gezeigt, für den sie 1919 im Leichenhaus den aufgebahrten Körper des ermordeten Karl Liebknecht skizzierte. Viele der Arbeiten stammen aus dem Bestand des Gustav-Lübcke-Museums, der für die Schau durch Leihgaben ergänzt wurde.

„Die Kunst ist vom Menschen gemacht. Seine eigene Gestalt ist das Zentrum aller Kunst“, schrieb Ernst Ludwig Kirchner in sein Tagebuch. „Deshalb muss (man) mit dem Menschen selbst beginnen.“ In einzelnen Abteilungen wie Stadt, Natur, Nachtleben, Religion oder Selbstbildnisse spürt die Ausstellung dem vielschichtigen Menschenbild des Expressionismus nach. Dass sie dabei auch mit unbekannten Künstlern aufwartet, macht sie nur interessanter. So ist ein Kabinett etwa den beiden in Soest geborenen Malern Wilhelm Morgner (1891-1917) und Eberhard Viegener (1890-1967) gewidmet. Abseits der großen Kunstzentren hatten sie es mit ihren neuartigen Gemälden noch viel schwerer. Oft lästerte Wilhelm Morgner deswegen über die Spießigkeit der Soester Bürger, was ihm mitunter schon mal eine handfeste Schlägerei eingebracht haben soll.

„Genuss. Empfindung. Aufbegehren. Menschenbilder im Expressionismus“, bis 24. März im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm, Neue Bahnhofstraße 9; geöffnet Di. – Sa. 10-17 Uhr, So. 10-18 Uhr.

Gustav-Luebcke-Museum, Hamm

Von Welf Grombacher, Neue Westfälische