Bielefeld. Im Jahr 1908 schrieb Hermann Stenner in einem Brief: „Anstatt einen zu fördern, bremst diese ganze Bielefelder Gesellschaft nur.“ Ein Satz, dem der Maler, der am 12. März vor 125 Jahren in Bielefeld geboren wurde, Konsequenzen folgen ließ. Er kehrte 1909 seiner Heimatstadt den Rücken, um zunächst an der Münchner Kunstakademie, dann in Dachau und später beim Impressionisten Christian Landenberger in Stuttgart sein Wissen über die Malerei zu vertiefen und einen eigenen künstlerischen Ausdruck zu finden.

Ein kluge Entscheidung des jungen, schon seit Schulzeiten malenden Stenners, der sich in der Folgezeit in großer Rasanz zu einem bedeutenden Vertreter der Moderne entwickeln wird und der, da sind sich die Experten einig, ein ganz großer Maler geworden wäre, wäre er nicht als Soldat in den Ersten Weltkrieg gezogen.

Zum 125. Geburtstag des westfälischen Expressionisten sind 23 Bilder gehängt. Zwölf Werke hat die Kuratorin Diana Lenz-Weber aus der Sammlung Bunte in Ostwestfalen ausgewählt, vier kommen von Privatsammlern, die nicht genannt werden wollen, und das Museum in Hamm steuert sieben weitere Exponate bei, die zum Bestand an Expressionisten im Haus zählen.

»Jetzt geht es ans Komponieren«
Freiwillig hatte sich der Sohn des Bielefelder Malermeisters Hugo Stenner zum Kriegsdienst gemeldet. In der Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 1914 wurde der erst 23-Jährige an der Ostfront bei I?ow in Polen getötet. Kurz zuvor hatte er noch auf einer Postkarte nach Hause geschrieben: „Morgen geht es an den Feind.“

Bis dahin hatte Stenner bereits ein umfassendes Werk geschaffen. 270 Ölgemälde und mehr als 1.500 Arbeiten auf Papier (inklusive Zeichnungen in seinen Skizzenbüchern) entstanden – innerhalb von nur sechs Jahren. Vom Impressionisten hatte er sich zum Expressionisten weiterentwickelt und sich schließlich auf den Weg in die Abstraktion gemacht.

Stenners Landschaftsbilder aus der Eifel, sein „Heilger Sebastian“, das „Selbstbildnis im Roten Kostüm“ und „Kubistische Figur mit Häusern“ beeindrucken, spiegeln diesen Weg bis hin zu kubistischen Formen wider. Er selbst schrieb: „Jetzt geht es ans Komponieren.“ Die Wirklichkeit spielte keine Rolle mehr. Und setzte Stenner zunächst noch auf expressive Farbigkeit („Grüne Frau mit gelbem Hut“), so nahm er diese nun zurück. Dunklere Farben dominierten. „Auferstehung“ und „Dame mit Lilie“ waren seine letzten großen Werke betitelt. Stenner schien seinen künstlerischen Weg gefunden zu haben.

„Alles war bei ihm voll Leben und Ausdruck, allem Gelernten und Schematischen ganz gegensätzlich“, bemerkte Willi Baumeister, mit dem er bei Adolf Hölzel in Stuttgart Malerei studiert hatte. Hölzel war sein wichtigster Lehrer. Und Stenner sein Meisterschüler. Doch der ging schon sehr bald eigene Wege. Gehörte in der Klasse von Hölzel zusammen mit Oskar Schlemmer und Willi Baumeister zu den „Eigenwilligen“. Stenner machte sich bereits früh einen Namen. Als die Nachricht von seinem Tod sich verbreitet hatte, schrieb Hans Hildebrandt: „Die Kunst hat an ihm einen wirklichen Verlust erlitten. Er war aus der jungen Generation einer der Allerbegabtesten.“

Während der Nazi-Zeit waren Stenners Werke verboten. Sie galten als entartet, wurden beschlagnahmt. Erst ab 1954 begann seine Wiederentdeckung. Das Städtische Kunsthaus in Bielefeld widmete ihm 1956 eine Einzelausstellung. Leiter Gustav Vriesen schrieb anlässlich der Schau: „Hermann Stenner ist heute ein verschollener Wert. Er muss der Kunstwelt zurückgegeben werden.“

»Der fast unbekannte Bielefelder Expressionist«
In den Folgejahren wurden seine Werke vor allem in Gruppenausstellungen gezeigt. Zum Beispiel in Stuttgart, Bielefeld („Hölzel und sein Kreis“) und Oxford. Anlässlich seines 100. Geburtstag im Jahr 1991 widmete die Bielefelder Kunsthalle ihm schließlich eine große Retrospektive. Weitere Schauen folgten. In Bielefeld entstand 1997 der Freundeskreis Hermann Stenner. Werkverzeichnisse wurden erarbeitet. Auf dem Kunstmarkt erzielen Stenner-Werke heute hohe Preise. Der „fast unbekannte Bielefelder Expressionist“, der verschollene Wert“ rückt immer stärker ins Bewusstsein der Kunstwelt. 2014 zeigte die Kunsthalle die großartige Ausstellung „Das Glück in der Kunst“. Im Zentrum standen die Werke Hermann Stenners.

Der Kunstsammler und Stenner-Kenner Hermann-Josef Bunte hatte seine großartige Privat-Sammlung für die von Jutta Hülsewig-Johnen wunderbar kuratierte Schau geöffnet. Sie wurde zu einem Heimspiel für Stenner. 40.000 Besucher wollten seine Werke sehen. Es war diese Ausstellung und es ist die Sammlung Bunte, die Stenner endgültig nach Bielefeld zurückholte. Und in deren Folge die Idee von einem Stenner-Museum schließlich Realität wurde.

Spätestens im Jahr 2018 soll es in der ehemaligen Handwerkskammer eröffnet werden – dank des Engagements von Ortwin Goldbeck, der die alte Villa gekauft und dem Stenner Freundeskreis überlassen hat, um ein Stenner-Museum aufzubauen. Bielefeld fördert nun den größten Maler, den diese Stadt hervorgebracht hat und der dieser einst den Rücken kehrte, „weil diese ganze Bielefelder Gesellschaft nur bremst“.

Von Stefan Brams, Neue Westfälische