Die gelben Figuren in Hermann Stenners leuchtendem Bild sind malerische Zustände seiner tastenden Ambition nach mehr Abstraktion. Außerdem öffnet der junge Künstler (1891–1914) in „Rhythmische Figurenkomposition“ (1913/14) die Flächenordnung des kleinen Formats für gestische Momente mit Rot und Orange. Ein Quadrat scheint außerdem auf – wie für einen Moment, und Stenner schwelgt in Farben des Expressionismus, die jeden Pinselstrich als Erkundung aufladen. Wie intensiv Hermann Stenner, in Bielefeld geboren, arbeitete, zeigt eine Kabinettausstellung im Gustav-Lübcke-Museum Hamm mit kleinen Bildern und vor allem auf Papier. „Happy Birthday, Hermann Stenner!“

Zum 125. Geburtstag des westfälischen Expressionisten sind 23 Bilder gehängt. Zwölf Werke hat die Kuratorin Diana Lenz-Weber aus der Sammlung Bunte in Ostwestfalen ausgewählt, vier kommen von Privatsammlern, die nicht genannt werden wollen, und das Museum in Hamm steuert sieben weitere Exponate bei, die zum Bestand an Expressionisten im Haus zählen.

Aus Stenners Jugend und seiner Zeit an der Kunstgewerbeschule in Bielefeld (1907/08) gibt es keine Beispiele zu sehen. Die Ausstellung bietet Bilder ab 1909, als Stenner nach München ging, um Maler zu werden. Er sollte bis zu seinem Tod in Polen – er starb 1914 als Soldat im 1. Weltkrieg – 300 Gemälde und 1500 Arbeiten auf Papier schaffen. Mit dem Aquarell „Bach unter Bäumen“ (1909), das Stenner im Dachauer Moos gemalt hatte, zeigt sich sein in der Natur geschulter Blick für die Landschaft – hier fast ein bisschen lieblich akzentuiert. Stenner ließ die Künstlerkolonie in Dachau hinter sich – die Aufnahme an der Kunstakademie in München war ihm nicht gelungen – und ging 1910 nach Stuttgart, wo er erst bei Christian Landenberger studierte. Sein „Kinderbildnis“ (1910) ist mit heftigem Farbauftrag ein spätimpressionistisches Werk, das leicht flächig in gedeckten Farben gehalten ist. Sein „Selbstbildnis mit gelbem Hut“ (1911) zeigt eigentlich den Bruder Fritz, ist einfacher, undramatisch und begrenzt die Flächen mit Schwarz.

Stenner verschreibt sich zunehmend einer Flächenkomposition. Seit 1912 gehört er zur Klasse von Adolf Hölzel (1853–1934), der als Farbtheoretiker seine Studenten anweist, mit Linie, Form und Kontrasten zu arbeiten. Ganz akkurat ordnet Stenner im Gemälde „Spaziergang an der Eisenbahn“ (1912) Mensch und Zug von einander, gliedert mit Bäumen und sortiert in „Eifellandschaft“ (1912) die Gebäudekörper zu einer tristen menschenleeren Stadtansicht mit Fabrik. Auf einem Ausflug hatte er Monschau kennengelernt.

Das von der Natur geprägte Weltgefühl, das die westfälischen Expressionisten wie August Böckstiegel und Wilhelm Morgner verband, wird von modernen Stilimpulsen der Zeit herausgefordert. Die Geburtstagsschau in Hamm überrascht mit der Zeichnung „Der Dezug 3.59 h“, in der Stenner Geschwindigkeit zu Strichellinien verdichtet. Die Futuristen in Italien gaben sich dem Fortschrittsoptimismus in der Zeit hin.

Stenner erprobte in seinen Stillleben mit Anemonen die Wirkung der Blütenköpfe im Bildraum. Dass Stenner kein Ende fand, belegt „Verkündigung der Hirten“ (1912), das comichaft reduziert ist und herrlich leicht daherkommt. Religion war ein Hauptthema des 23-Jährigen.

Federnd wirken seine „Zirkusszene“ und „Schwebenden Akte“, die zum Motivkanon des Expressionismus zählen. Stenners Vielfalt hat nichts Getriebenes, er suchte sorgfältig, was der Kunstpluralismus am Anfang des 20. Jahrhunderts für ihn bereit hielt. Die Ausstellung lässt einen daran teilhaben.

Eröffnung, Sonntag, 11.30 Uhr; bis 9. 11.; di-sa 11 – 17, so 10 – 18 Uhr; Tel. 02381/172 989; www.museum-hamm.de

Von Achim Lettmann, Westfälischer Anzeiger